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Das Rad ist rund - Reifenvorschriften im Zwielicht (9.9.2003)

Jedenfalls von der Seite betrachtet. Auf der Strecke aber ist der Reifen flach und hat 270 mm Auflagefläche um und zwischen den Rillen - maximal. Während viele PKW's auf unseren Strassen breitere Reifen durch die Gegend wuchten, zumeist mehr zum Schein als Sein, gilt in der Formel 1 das 270er Mass als das Mass aller Dinge.

Festgeschrieben ist dies nicht in den Technischen Regeln, sondern in den Sportlichen Regeln, Paragraph 77, Absatz c. Dieser Absatz definiert vorrangig die Profilrillen für Trocken-Vorderreifen, endet aber mit dem Satz: "Weiterhin darf die Auflagefläche des Vorderreifens 270 mm nicht überschreiten". Absatz d, der sich mit den Hinterreifen beschäftigt, hat diesen Passus nicht. Ausserdem schreibt Paragraph 77 zwar den zur Messung gültigen Luftdruck (1,4 bar) und die Montage auf der Felge während der Messung vor, nicht aber den Zeitpunkt der Messung. Und genau hier liegt das Problem: offensichtlich verbreitern sich die Michelin Reifen während des Rennens und dies wurde von der FIA bislang noch nicht in den Regeln erfasst. Zwar befasst sich Paragraph 78, Absatz a bis e, genau mit der Kontrolle der Reifenverwendung und Paragraph 79 spezifisch mit der Abnutzung des Profils, doch eine Änderung der Reifenbreite während des Rennens scheint bislang - mit Ausnahme der Michelin-Ingenieure - noch niemand in den Sinn gekommen zu sein.

Wie sehr dieser kleine Trick den Ausgang der bisherigen Rennen beeinflusst hat, ist kaum zu sagen. Fest steht, dass Ferrari in dieser Saison sicher noch andere Probleme hat. Die überraschend schnelle Ankündigung von Michelin, für das Rennen in Monza andere Reifen zur Verfügung zu stellen, weisst aber in jedem Fall darauf hin, dass der Tatbestand dort durchaus bekannt war.

Ferrari's Drohung, die Wertung aller bisherigen Rennen anzufechten, dürfte - wahrscheinlich - nur als Druckmittel zu verstehen sein, lässt aber die Michelin-Konkurrenz in einem rechtsfreien Raum schweben: verwendet man die bisherigen Reifen weiter, riskiert man zumindest für den Rest der Saison einen eindeutigen Regelverstoss. Wechselt man aber auf andere Reifen, verliert man Leistung, ist sich der Regelkonformität trotzdem nicht sicher und gesteht, wenigstens implizit, vergangene Regelverstösse ein.

Man darf gespannt sein, wie die FIA auf dieses Dilemma reagiert. Im McLaren Hauptquartier trafen sich Ron Dennis und McLaren Geschäftsführer Martin Whitmarsh sowie Frank Williams und sein technischer Direktor Patrick Head mit dem Technischen FIA Abgeordneten Charlie Whiting zu vertraulichen Gesprächen, über deren Ergebnis noch nichts bekannt wurde. Für McLaren und Williams ist das dringlichste Ziel, während der restlichen drei Rennen der Saison nicht benachteiligt zu werden, für die FIA steht die Glaubwürdigkeit der Formel 1 an sich auf dem Spiel.


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