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E.R. im Freien - Die Medinische Infrastruktur an der Strecke (21.6.2004)

Wer schon in 1980ern oder noch früher Formel 1 Rennen anschaute, wird sich noch an die Unfälle damals erinnern. Blutende Fahrer, ausgebrannte Wagen, in Panik flüchtende Zuschauer ... alles Bilder, die man zum Glück kaum noch sieht. Einerseits sind die Wagen dank der stets strenger werdenden Vorschriften immer sicherer geworden. Mit über 300 km/h in die Mauer zu gehen, wie Ralf Schumacher in Indianapolis, und danach nur über Prellungen zu klagen haben, das wäre früher nicht vorstellbar gewesen. Männer wie Jochen Rindt oder auch in jüngerer Vergangenheit Ayerton Senna wurden Opfer des Sportes und ebenso gab es immer wieder Tote und Verletzte unter dem Streckenpersonal und den Zuschauern. Zu Unfällen kommt es noch immer, wenn auch nicht mehr so oft wie früher, und zumeist steigt der Fahrer auch nach einem spektakulären Abgang noch zwar wacklig, aber auf eigenen Beinen aus den Resten seines Wagens. Gibt es aber Verletzte, dann tritt ein Teil der Formel 1 Maschine in Aktion, der vom Publikum sonst kaum wahrgenommen wird.

Die Medizinische Infrastruktur einer Rennstrecke ist integraler Bestandteil der Prüfung und Abnahme durch die FIA. Schwachpunkte würden hier ebenso zur Streichung eines Rennens führen wie fehlende Fangzäune oder Auslaufzonen. Obwohl die medizinische Versorgung teils von der FIA selbst, teils vom Veranstalter und teils von den örtlichen Behörden bereit gestellt wird, handelt es sich bei jedem einzelnen Rennen um ein integriertes, mehrschichtiges System, bei dem jedes Rad ins andere greift. Die oberste Verantwortung trägt dabei die FIA, in Person von Prof. Dr. Syd Watkins, dem Medizinischen Leiter der FIA und zugleich dem obersten Streckenarzt.

Die Erstversorgung nach einem Unfall fällt zunächst den Ärzten (TMO - Track Medical Officers) und Notfallhelfern (TA - Track Assistants) zu, die an strategischen Punkten der gesamten Strecke, einschliesslich der Boxengasse plaziert sind. TMO's wie TA's sind zu Fuss unterwegs und haben nur die notwendigsten Ausrüstung bei sich; ihre Hauptaufgabe ist das Bewerten der Verletzung und das Versorgen leichter Fälle. Wird eine schwere Verletzung festgestellt, fordern sie Unterstützung an.

Die kommt zunächst in Form eines Erstversorgungsfahrzeuges (FIV - First Intervention Vehicle), von denen ebenfalls mehrere rund um die Strecke postiert sind. Jedes dieser Fahrzeuge hat einen oder zwei Ärzte und einen Rettungshelfer an Bord und wird vom einem Fahrer mit Sportwagenlizenz chauffiert. Die Ärzte müssen in Intensivversorgung, Anästesie und Traumaversorgung qualifiziert sein. Zur Ausrüstung gehören Geräte und Medikamente zur Wiederbelebung und Stabilisierung von Verletzten. Zwei gleich ausgerüstete Support Intervention Vehicles (SIV) werden an der Strecke immer in Reserve gehalten.

Zwei Medizinische Bergungsfahrzeuge stehen zumeist an der Boxengasse und auf circa halber Strecke bereit. Mit einem Arzt und vier Rettungshelfern bemannt haben diese Fahrzeuge die passende Ausrüstung an Bord um eingeklemmte oder bewusstlose Fahrer aus ihrem Fahrzeug zu befreien. Sowohl die Bergung mit den entfernbaren Sitzschalen als auch die Beseitigung hinderlicher Wrackteile gehören zu den Aufgaben dieser Fahrzeuge; ausserdem tragen sie zusätzzliche Ausrüstung zur Wiederbelebung. Ein Schwerpunkt ist dabei der Umgang mit tatsächlichen oder möglichen Wirbelsäulenverletzungen.

Syd Watkins selbst ist bei jedem Rennen anwesend; ihm steht das "Medical Chase Car", ein ebenfalls mit Notfallausrüstung beladener AMG-Mercedes mit lizensiertem Sportfahrer, zur Verfügung um in kürzester Zeit zu jeden Punkt der Strecke zu gelangen. Der Abtransport der Verletzten obliegt den wiederum um die Strecke postierten Krankenwagen. Sie sind mit je zwei Rettungshelfern bemannt und nehmen, wenn notwendig, einen der Ärzte mit.

Die Erstversorgung wird im Medizinischen Zentrum der Strecke vorgenommen. Dieses Zentrum, das vom Veranstalter gestellt werden muss, dient im Normalfall der allgemeinen Versorgung und Behandlung von Fahrern, Teammitgliedern, Offiziellen und anderen direkt Beteiligten während des gesamten Rennwochenendes. Im Notfall stehen hier Behandlungsräume und ein komplett ausgerüsteter Operationssaal mit Chirurgen und Personal zur Verfügung.

Ist der Verletzte hier untersucht, behandelt und stabilisiert worden, wird er in ein nahes Krankenhaus gebracht, weniger kritische Fälle mit dem Krankenwagen, eilige Fälle per Helicopter. Während des Rennens stehen immer zwei Hubschrauber zur Verfügung, einer direkt am Medizinischen Zentrum, der zweite abseits der Strecke um nach Abflug des ersten sofort seine Position einzunehmen. Krankenhäuser der näheren Umgebung halten sich während des Rennwochenendes und speziell während des Rennens stets in erhöhter Bereitschaft.

Koordiniert werden alle Einsätze zentral von der Rennleitung, die über die Kameras des lokalen Fernsehteams, die in den Wagen eingebauten Kameras und eigenen Überwachungskameras jede Stelle der Strecke visuell unter Kontrolle hat. Alle stationären und mobilen Einheiten stehen mit der Rennleitung in Funkverbindung; zusätzlich sind zwischen der Rennleitung, dem Medizinischen Zentrum und den Krankenhäusern Telefonleitungen geschaltet.

Der Aufwand, der für den Fall der Fälle betrieben wird, ist also hoch. Eine Hundertprozentige Sicherheit ist er nicht. Als Fahrer, als Streckenposten und auch als Zuschauer sollte man sich dessen bewusst sein.


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