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Traktionskontrolle - Der Elektronische Gaszug (18.10.2001)

Nach langwierigen, lauten und hitzigen Diskussionen ist ein Thema zur Zeit praktisch verschwunden - die Traktionskontrolle ist eingeführt, und niemand spricht mehr darüber. Die Kassandrarufe, die den Niedergang des Sportes vorhersagten sind verstummt, ebenso wie aber auch die ständigen Sticheleien, Spekulationen und Anklagen, wer gerade wie das Verbot der elektronischen Fahrhilfe umgehe. Sie ist also da, die Traktionskontrolle, und wird es wohl vorerst auch bleiben. Wie aber funktioniert sie eigentlich ?

In der "guten alten Zeit" des Rennsportes (Bevor Die Erde Abkühlte) gab es ein Pedal unter dem rechten Fuss des Fahrers; an diesem Pedal war ein Hebel montiert, der einen Bowdenzug betätigte, der wiederum die Drosselklappe betätigte. Die Drosselklappe regelte direkt den Luftzufluss und damit die Drehzahl des Motors. Während Pedalstellung, Drosselklappe und Drehzahl noch in einem relativ linearen Verhältnis zueinander stehen, war die Auswirkung auf die Antriebskraft des Wagens aber alles andere als linear. Hier kommt nämlich die Drehmomentkurve ins Spiel: das Drehmoment, das ein Motor abliefert und das letztlich über Beschleunigung und Geschwindigkeit entscheidet, ist nicht direkt mit der Drehzahl verbunden. Bei sehr niedrigen Drehzahlen wird das Drehmoment gering sein, bei mittleren besser, bei hohen sehr gut, bei sehr hohen wieder schlechter; dazwischen liegen steile und flache Kurvenverläufe und einige Kurvengipfel und -täler. Jeder Motor hat seinen eigene Kurvenverlauf und ein grosser Teil der Kunst des Fahrers lag darin, diese Charakteristik zu kennen und die Kraft in jeder Fahrsituation optimal auf die Strasse zu bringen. Problematisch war dies besonders zur Zeit der Turbogeladenen Motoren, bei denen ab einer bestimmten Drehzahl der Turbolader für einen plötzlich einsetzenen Leistungschub sorgte. Eine technische Lösung für das Problem war die Entwicklung komplizierter mechanischer Übersetzungen, mit denen die Stellung des Gaspedals zumindest annähernd an das Drehmoment anstelle der Drehzahl angeglichen wurde. Ende der 80er Jahre wurde dieses Problem erstmals elektronisch gelöst und die Formel 1 Konstrukteure benutzen statt des mechanischen Gaszug das "Fly-by-wire" Prinzip - die Drosselklappe wurde elektronisch angesteuert.

Zunächst war dies eine Lösung für das Versagen mechanischer Elemente - einige Teams hatten zwei Gaszüge eingebaut, die bei einem Boxenstop rasch gegeneinander ausgetauscht werden konnten. Von da war es aber auch ein einfacher Schritt zur Traktionskontrolle. Zunächst wurde die Drehzahl der angetriebenen Räder mit der Geschwindigkeit des Wagens, abgeleitet aus der Drehzahl der nicht angetriebenen Fronträder und korrigiert um deren kleineren Durchmesser, verglichen. Ein gewisses Mass an Durchdrehen wurde erlaubt, danach regelte die Elektronik den Motor ab. Schon bald wurden die Ingenieure kreativer: als nächster Schritt wurden die absolute Geschwindigkeit und die Querbeschleunigung des Wagens gemessen und in die Gleichung eingebracht, um das Ausbrechen des Hecks in der Kurve besser unter Kontrolle zu halten. Nach diesem Prinzip arbeiten heute die Fahrhilfen in vielen Personenwagen. Im Jahr 1994 wurde diese Art der elektronischen Hilfe in der Formel 1 verboten und die Teams durften lediglich die Fly-by-Wire Ansteuerung des Motors beibehalten. Trotzdem versuchten die Ingenieure alles mögliche um die Regeln, wenn schon nicht zu brechen, dann ein wenig zu verbiegen: die eingespritzte Treibstoffmenge wurde ebenso elektronisch berechnet und verändert wie die Zündzeiteinstellung, das Schlupfverhalten der Räder wurde, da die Messung nicht mehr erlaubt war, theoretisch berechnet, abhängig von Reifenzustand, Streckenverhältnissen und sogar dem Streckenverlauf. Trotz einiger Anläufe musste die FIA feststellen, dass sie einfach nicht feststellen konnten, was genau die Black Boxen in den Autos eigentlich alles machten. Eben dies führte zur totalen Freigabe der Traktionskontrolle in der eben vergangenen Saison.

Damit waren die Ingenieure endlich frei, die optimale Lösung zu suchen, die sowohl dem Fahrer erlaubt das Optimum an Geschwindigkeit zu erreichen als auch den Motor möglichst schont, indem die absichtlich vom System verursachten Fehlzündungen minimiert werden. Vier Prinzipien kristallisierten sich dabei heraus:

Wie bereits erwähnt, ist die Steuerung der Luftzufuhr nicht die optimale Methode um das Drehmoment zu kontrollieren. Ist der Verlauf der Drehmomentkurve unter Berücksichtigung aller Einflüsse (Drehzahl, Pedalstellung, Drosselklappenstellung, geschwindigkeitskorrigierte Luftdichte, Motor- und Treibstofftemperatur und andere) aber vollständig bekannt, kann die Bordelektronik für ein Drehmoment sorgen, das der Pedalstellung des Fahrers entspricht. Diese Art der Steuerung gibt den Motordesignern mehr Möglichkeiten ihre Triebwerke auf maximale Leistung zu optimieren, ohne sich zu sehr um die Drehmomentkurve zu sorgen. Das zweite Prinzip ist eine Variation des ersten, dass aber zusätzlich den Antriebsschlupf der Reifen berücksichtigt und so hilft den in der jeweiligen Fahrsituation optimalen, anstelle eines absolut optimalen, aber für die Situation vielleicht zu hohen Antriebs zu wählen.

Die beiden letzten Prinzipien optimieren eher den Wechsel des Drehmoments an den Hinterrädern als dessen absolute Grösse und geben dem Fahrer, auf Kosten des letzten Quäntchens Vortriebs, eine bessere Kontrolle über den Wagen, besonders beim Herausbeschleunigen aus der Kurve. Sie erfordern aber auch die grösste Umstellung der Fahrweise. Problematisch bei diesem Ansatz ist, das das optimale Drehmoment für die Hinterräder rasch wechselt während der Wagen unterschiedlichen aerodynamischen Abtrieb, unebene Strassenoberflächen oder Kurvenbegrenzungen durchläuft. Dabei kombiniert die vierte Möglichkeit die Vorteile der dritten mit vielen Möglichkeiten der ersten beiden.

Das Schlupfverhältnis der Antriebsräder zu kontrollieren bedeutet dass der Fahrer, bei voll durchgetretenem Pedal, entweder die maximale Leistung des Motors ausnutzen kann oder die maximale Traktion die der Wagen auf der Strecke bietet; macht man das Verhalten der Elektronik steuerbar, kann der Fahrer zudem sogar in einem von ihm gewünschten Mass durch eine Kurve driften. Da die Räder aber nun fast durchgehend am optimalen Schlupf arbeiten, erhöht sich auch die Abnutzung der Reifen, eine weitere Komponente, die berücksichtigt werden muss.

Was bedeutet dies alles für die vielzitierte Geschicklichkeit des Fahrers ? Nun, wie die vergangene Saison gezeigt hat sind zwar alle Wagen schneller als zuvor, die Abstände zwischen den Fahrern aber blieben weitgehend gleich. Die Anforderungen an die Fahrer haben sich sicherlich geändert, geringer geworden sind sie nicht. Es gibt in der Formel 1 keine Stilnoten, keine Bewertung für den schönsten Kurvendrift; es gibt Punkte für die Fahrer die es am schnellsten um die Strecke schaffen, Kurve für Kurve, Runde für Runde, Rennen für Rennen. Und darum sollte es ja schliesslich auch gehen.


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